strübel & passig

das glück liegt auf dem rücken der seepferdchen

Wenn man jung ist und nicht weiß, wos langgeht, muss man Bücher lesen, in denen es drinsteht. Dann kann man sich in Stilfragen an leicht verständlichen Vorbildern wie Hemingway, dem Räuber Hotzenplotz oder Charles Bukowski orientieren. Bukowski ist am einfachsten. Man trinkt billiges Bier. Man sagt "Jessas", so hat es Bukowskis deutscher Übersetzer verordnet. "Jessas" sagen wir Exilbayern gern und glaubwürdig, auch "Jessasmariandjosef", wenn es sein muss. Und man geht zum Pferderennen.

Zu diesem Zweck erkundige ich mich bei einem jungen Mann, wo man denn hier zum Pferderennen gehen kann. "Trab oder Galopp?", fragt der junge Mann. "Was ist denn da der Unterschied?", frage ich. "Ach, mach dir einen schönen Tag im Aquarium", rät mir der junge Mann nicht unfreundlich. Ich kann das nur jedem empfehlen, die Seepferdchen im Aquarium sind reizend und handlich, und man hat ihnen eine Art Baum in ihr Becken getan, an dessen Zweigen sie sich mit ihren Ringelschwänzchen festhalten. Kein Vergleich mit richtigen Pferden.

Schließlich schaffe ich es aber doch noch zum Pferderennen, und zwar zum Traber-Derby nach Mariendorf. Alle Kollegen meines Vaters, die den Rest des Jahres nach Straubing und vielleicht noch nach Daglfing zum Pferderennen fahren, kommen extra zum Traber-Derby nach Berlin. Hin fahren sie mit dem Artmeier-Bus, und zurück fliegen sie. Wenn sie was gewinnen. Sonst fahren sie mit dem Artmeier-Bus zurück. Sie schicken mich als Erstes einen Traber-Kurier kaufen, denn ohne Rennzeitung kennt man sich nicht aus. Dann erklären sie mir die Abkürzungen und den Totalisator und lassen mich vor jedem Rennen ihre Wettscheine wegbringen. Das bringt erstens Glück, und zweitens brauchen sie dann nicht aufzustehen. So kann ich die Coolness echter Profis erlernen. Mit unbeweglichen, biergeröteten Gesichtern verfolgt man das Rennen aus zusammengekniffenen Augen. Bukowski hat es sicher nicht besser gekonnt. Nur hin und wieder sagen die Vaterkollegen aufgeregt: "Der hupft! Der hupft!", wenn eins der Pferde - naja, was weiß ich schon von Pferden. Hupft wahrscheinlich.

Vor jedem Rennen kann man sich die Kandidaten ansehen und kenntnisreiche Bemerkungen machen. Nach jedem Rennen wird die Titelmelodie von "Monty Pythons Flying Circus" gespielt. Stolze Pferdebesitzer wandeln neben ihren rustikal coiffierten Gattinnen auf und ab. Ein schrumpeliges Männlein kommt vorbei und rät uns eindringlich, im sechsten Rennen auf die Nummer 4 zu setzen. Todsichere Sache! Die Vaterkollegen nicken unbeeindruckt und bedenken die Nummer 4 hinter dem Rücken des Männleins mit harten Worten. "Nicht auf schrumpelige Männlein aus Straubing hören", lerne ich. Dann gewinnt die Nummer 4 das sechste Rennen mit circa 20 Längen Vorsprung bei einer Quote, die gestandenen Männern das Wasser in die Augen treibt. "Jessasmariandjosef", sagen wir. Zurück nehmen wir den Artmeier-Bus. Ich beschließe, es noch mal mit Hemingway zu versuchen. Angeln, was soll da schon schief gehen.

KATHRIN PASSIG

Brutale Wattebäuschchen
Ira Strübel, 5.3.2003

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Kathrin Passig, 25.7.2002

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träumen amöben im drogenrausch von ihrer steuererklärung?
Kathrin Passig, 30.5.2002

die todesstrahlen
Kathrin Passig, 25.4.2002

das glück liegt auf dem rücken der seepferdchen
Kathrin Passig, 28.3.2002

der drang zur körperspende
Kathrin Passig, 28.2.2002

im dienste der geschlechterforschung
Kathrin Passig, 31.1.2002

 

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Die Wahrheit 2002-2003

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