strübel & passig

telearbeit bei muttern

Telearbeit ist keine schlechte Sache, Tele ohne Arbeit sogar noch besser. Nicht dass mein Berliner Büro nicht sehr wohnlich wäre: Wir sind im Besitz von 200 DVDs, einem Beamer und einem Surround-Sound-System, mit dem man die ausgeworfenen Patronenhülsen zum allgemeinen Entzücken in der Küche zu Boden fallen hören kann. Außerdem gibt es einen gut gefüllten Kühlschrank, und ein Putzmann räumt hinter uns her. Wer braucht einen Telearbeitsplatz, wenn es im Büro schöner ist als zu Hause?

Als ich noch zu Hause gearbeitet habe, bin ich morgens aufgestanden und habe mich ungewaschen und im Bademantel an die pizzaklebrige Tastatur gesetzt. Die Zukunft liegt, wenn man mich fragt, ganz sicher nicht im Heimarbeitsplatz, sondern in der Büro-WG mit allerhand schmucken Zusatznutzen wie betriebseigenen Whirlpools. Überhaupt glaube ich, dass das Büro der rechtmäßige Nachfolger der WG ist; das lassen jedenfalls unsere Auseinandersetzungen über die nicht in den Kühlschrank gestellte Milch vermuten.

Im Unterschied zur WG hat man aber auch noch ein Privatleben, in das man sich zurückziehen kann, und einen Privatkühlschrank, in dem das Essen nicht umgehend von einem kollegialen Heuschreckenschwarm vertilgt wird. Das heißt, andere Leute haben so einen Privatkühlschrank. Ich habe meinen letztes Jahr abgeschafft, nachdem ich im Rahmen einer allgemeinen Lebensbilanz feststellen musste, dass er nur noch ein Joghurtglas voll Kaffee enthielt, das mein Ex Axel - ich trinke keinen Kaffee - um 1994 dort deponiert hatte.

Ich bin also parasitär auf fremde Wirtskühlschränke angewiesen, und wenn der Kühlschrank im Büro sich leert, verlege ich meinen Arbeitsplatz ins Elternhaus. Besonders im Sommer gibt es Schlimmeres, als mit einem Eis im Garten zu sitzen und gefragt zu werden, was man gern zu Abend essen würde. Auch die lästigen Aufforderungen, doch jetzt in den Sommerferien mal einen Job in der Kartonfabrik anzunehmen, sind in den letzten Jahren selten geworden. "Telearbeit", erkläre ich, wenn man mich fragt. "Geh mir aus der Sonne."

Dank weit blickender Berufswahl kann ich so gut wie alles als Arbeit deklarieren, auch das Weglesen halbmeterhoher Krimistapel. Hin und wieder verschicke ich Mails. Des Weiteren möchte die Katze zweimal täglich von mir gebürstet werden, und damit enden meine Pflichten. Ich schneuze mich in Stofftaschentücher statt in Klopapier und esse vier Mahlzeiten täglich. Mittags fahren meine Mutter und ich mit dem Fahrrad zum Baden. Dort liegen wir in der Sonne und grunzen wohlig, während mein Vater das Geld für die vier Mahlzeiten und die Stofftaschentücher nach Hause bringt. Nur das Platschen der Amöben, die von Zeit zu Zeit aus dem Wasser springen und nach Insekten schnappen, durchbricht die Stille. Früher wäre man jetzt gefragt worden, ob man die Hausaufgaben für morgen schon gemacht hat. Erwachsensein ist auch keine schlechte Sache, denke ich und schließe die Augen. "Hast du deine Kolumne für morgen schon geschrieben?", fragt meine Mutter.

KATHRIN PASSIG

gefühltes alter - geschichtetes alter
Kathrin Passig, 28.12.2000

ich & kurt scheel
Kathrin Passig, 30.11.2000

tod im rübenfeld
Kathrin Passig, 26.10.2000

reich-ranickis retro-pointen
Ira Strübel, 17.10.2000

britischer cargo-kult
Kathrin Passig, 28.9.2000

telearbeit bei muttern
Kathrin Passig, 28.8.2000

der personalruss
Kathrin Passig, 27.7.2000

wirtschaftsfreundliche eiskunde
Kathrin Passig, 29.6.2000

Nach dem Frühstück ins Bett
Kathrin Passig, 20.6.2000

plazenta auf der zunge
Kathrin Passig, 25.5.2000

ich bin ein entwicklungsroman
Ira Strübel als Kathrin Passig, 27.4.2000

surfen im neonarzissmus
Kathrin Passig, 22.3.2000

Erm! Ural! Ordeina! Oruska!
Kathrin Passig, 24.2.2000

Piblotoq, Pa-leng, Ufufuyane
Kathrin Passig, 27.1.2000

Aufzeichnungen aus der Tiefkühltruhe
Ira Strübel, 26.1.2000

Perverser Kino-Terror
Ira Strübel, 27.11.1999

Die 120 Tage von Sadekrokan
Kathrin Passig, 23.11.1999

Gummi-Bärchen
Kathrin Passig, 2.7.1996

 

strübel & passig 2003

strübel & passig 2002

strübel & passig 2001

Die Wahrheit 2002-2003

Die Wahrheit 2001

Die Wahrheit 1996-2000

Häufig gestellte Fragen