strübel & passig

sex und gewalt und schmächtige männchen

Infolge eines Missverständnisses bin ich vor kurzem auf die Mailingliste der taz-Genderredaktion geraten. Aufgrund meiner innigen Beziehung zu Frl. Strübel hielt man mich dort für lesbisch, und Sex mit Frauen macht einen anscheinend automatisch zur Genderexpertin. Meine Kenntnisse über Sex mit Frauen gehen nicht über das hinaus, was man sich abends im Bett selbständig aneignen kann, und so bin ich auch in Genderfragen bisher unaufgeklärt geblieben. Ich glaube aber, Genderkram ist das, was noch vor ein paar Jahren einfach Frauenforschung hieß. Frl. Strübel bestätigt meinen Verdacht: "Als ich anfing zu studieren, hieß das noch Female Studies - wir hatten ja nix, damals." In einem früheren Leben habe ich selbst hin und wieder Gender-Seminare besucht, immer nur einmal allerdings. "Geschlechtsspezifische Unterschiede in Erotik und Sexualität" zum Beispiel: einen Kurs, in dem man unter anderem durch Einreichen von "Liebesgedichten oder erotischen Dialogen" einen Schein erwerben konnte.

Dort mussten wir als Erstes - in pädagogisch wertvoller Teamarbeit und fein nach genitalen Armaturen getrennt - aufschreiben, was Erotik für uns bedeutet. Als die Ergebnisse zusammengetragen wurden, weigerte sich die Sprecherin unserer Gruppe, meinen Beitrag "Erotik sind sexuelle Darstellungen und Vorstellungen, die aber nicht hinreichen, um sich darauf einen runterzuholen" zu nennen; ich war auch in der Gruppe bereits wegen des frauenfeindlichen Ausdrucks "einen runterholen" kritisiert worden. "Hingabe, Tanz, Kunst, Ästhetik" wurden genannt, und gegen Ende rief ein junger Mann noch: "Gewalt und Macht!" Ich wollte schon frohlocken, aber er fuhr fort "... das sind negative Seiten der Erotik, und das müssen wir Männer uns abgewöhnen." Menno.

Außerdem gab es dort ein schmächtiges Männchen von etwa dreißig Jahren, dessen Brillen-Nasensteg mit roten Gummibändern umwickelt war. Es sah aus wie von der Wohlfahrt eingekleidet, und seine Hosenbeine waren gut zwei Handbreit zu kurz. Dieses Geschöpf vertrat ganz energisch die Ansicht, Erotik sei eine abschaffenswerte Sache, weil damit die Frauen mittels ihrer langen roten Fingernägel - die ihm persönlich überhaupt nicht gefielen - Macht über die Männer ausüben würden. Er redete lange und laut, und der Spätkapitalismus kam oft darin vor. Ich glaube, was er eigentlich sagen wollte, war in etwa: "Die Frauen wollen es nicht mit mir treiben, ich begehre sie aber wider Willen trotzdem, die gemeinen Schlampen mit ihren roten Fingernägeln, und dafür verabscheue ich sie und den gesamten Spätkapitalismus dazu." Dann war das Seminar zu Ende, ich ging nie wieder hin und weiß deshalb nicht viel über spätkapitalistische Verblendungszusammenhänge.

Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrates, Inge von Bönninghausen, hat kürzlich erklärt: taz muss sein, weil nur sie das Zeug hat, mit einer täglichen Gender-Seite noch besser zu werden". Ich weiß nicht, wie Frau von Bönninghausen sich das vorstellt. Jeden Tag kann nun wirklich niemand diese Genderdinge ertragen.

KATHRIN PASSIG

Anmerkung: Dieser unschuldige Text zog diverse Leserbriefe nach sich, in denen man meine Ahnungslosigkeit in Genderfragen beklagte. Das sei doch alles längst ganz anders! Dabei hatte das beschriebene Seminar Ende 1999 stattgefunden. taz-Autorin Viola Roggenkamp erkannte sogar zwischen den Zeilen: "Es geht um Hass. Er ist zu spüren. Genauer gesagt: um den Frauhass einer Frau. Noch genauer gesagt: um Mutterhass. Und neben diesem offen und geradezu Beifall heischend vorgeführten Mutterhass steht verhüllt der Vaterhass eben dieser Frau." Auch dazu wieder Leserbriefe, wobei sich fast alle Zuschriften wie auch Frau Roggenkamp besonders mit dem Satz "Jeden Tag kann nun wirklich niemand diese Genderdinge ertragen" beschäftigten. Der aber stammte gar nicht von mir, sondern vom zuständigen taz-Redakteur, der den ursprünglichen Schluss zu lahm gefunden hatte. Aber jeden Tag muss man diese Genderdinge ja zum Glück auch gar nicht ertragen, und seitdem herrscht wieder Ruhe im Karton.

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