strübel & passig

literaturwissenschaft für einbrecher

Neulich vergaß ich, das Fenster zu schließen und sah es bei meiner Rückkehr sperrangelweit offenstehen. Erst dachte ich: "Der Nachbar", dann: "Womöglich Einbrecher", und dann: "Haha, Einbrecher! Bei mir!" Und tatsächlich war dort, wo der defekte Videorekorder gestanden hatte, nur noch ein Fleck im Staub. Auch der defekte CD-Player, das defekte Notebook und das defekte Modem waren verschwunden. Alles Verkäufliche hatten die Pfuscher dagegen zurückgelassen. Selbst meine getragene Wäsche wäre mehr wert gewesen als dieses ausgesuchte Elektronikschrottsortiment, für dessen Annahme der Hehler vermutlich noch Geld sehen wollte.

Abgesehen von dem nützlichen und noch fast neuen Karton, in dem die Sore abtransportiert wurde, ist mir kein Schaden entstanden, aber wenn der eine oder andere unter Ihnen seinen Lebensunterhalt mit Einbruchdiebstahl verdient, dann möchte ich Ihnen ein paar Worte zur beruflichen Fortbildung mit auf den Weg geben: Richten Sie Ihr Augenmerk auf die Bücherregale. Mit ein paar grundlegenden Kenntnissen und einem aufmerksamen Auge werden Sie schon bald nicht mehr auf den Markt für gebrauchte Unterhaltungselektronik mit seinem rapiden Preisverfall angewiesen sein. "Aber Bücher sind doch schwer davonzuschleppen und bringen nur wenig Geld ein", werden Sie einwenden. Lassen Sie mich mit diesem verbreiteten Irrtum aufräumen.

Ein Fernseher wiegt etwa 40 Kilo und bringt beim Hehler um die 200 Mark ein. Ein einziges "Compact Oxford English Dictionary" (die Dünndruckausgabe aller 20 Bände in einem einzigen Band, Lupe sollte beiliegen) lässt sich dagegen mit seinen fünfeinhalb Kilogramm in einer Hand abtransportieren und wird gebraucht ab 400 Mark gehandelt. Nur unwesentlich mehr wiegt eine vollständige Haffmans-"Raben"-Sammlung in 63 Bänden, deren es in Deutschland einige tausend gibt und für die ähnliche Preise geboten werden.

"Aber wie soll ich denn ein teures Buch auf die Schnelle von einem billigen unterscheiden?", fragen Sie jetzt. Langfristig ist es natürlich von Vorteil, wenn Sie sich eingehend über die Nachfrage nach raren und vergriffenen Büchern informieren. Gespräche mit Ihrem neuen Ansprechpartner, dem Antiquar, können Ihnen dabei helfen. Auch sollten Sie nicht versäumen, die Listen gesuchter Titel bei zvab.com und justbooks.de zu verfolgen. Fürs Erste genügt es aber, wenn Sie ein paar simple Regeln beherzigen: Gebundene Bücher sind besser verkäuflich als Taschenbücher, gut erhaltene besser als ramponierte, Erstausgaben besser als Folgeauflagen, Fadenheftung besser als Klebebindung. Mit Büchern im Schuber können Sie gar nichts falsch machen.

Sollte Ihnen bei der Arbeit Lawrence Blocks Krimiserie um den Antiquar und Einbrecher Bernie Rhodenbarr in die Hände fallen, zögern Sie nicht, sie einzupacken. Der Wiederverkaufswert ist zwar gering, aber dafür erfahren Sie viel Wissenswertes darüber, wie beide Professionen einander gegenseitig befruchten können. Und schließen Sie das Fenster, wenn Sie gehen. Vielen Dank.

KATHRIN PASSIG

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